Mediathek - Main-EchoDigitalisierung: 4. Welle (Corona Edition)

Wie Corona uns in der Digitalisierung zurückwirft

(kann Spuren von Eigenwerbung enthalten)

 von Frank Eiffert, November 2021

November 2021, WDR2 läuft im Radio, ich bin auf dem Weg aus dem Krankenhaus ins Büro. PCR-Test, mal wieder. Das hätten wir uns alle nicht träumen lassen, dass wir so von der vierten Welle erfasst werden. Dabei hatten doch alle Experten davor gewarnt. Und viel war in Tools und Sicherheit investiert worden. Allerortens kleben QR Codes, die man scannen kann, was aber keiner mehr macht. Alle halten ihre Handys bereit und zeigen ihre Impfzertifikate. Es gibt mittlerweile mehr als 80 digitale Lösungen zur Kontaktdatenerfassung (obwohl in Deutschland in fast allen Bundesländern eine Lobby-Entscheidung getroffen wurde, eine einzige Lösung zu kaufen). Die CWA wurde um die CovPassCheck-App erweitert, die die Impfzertifikatsgültigkeit prüft und das Ergebnis anzeigt, aber nicht dokumentiert. Das muss weiterhin jeder selbst machen, aber wir sind schon sehr viel weiter als vor einem Jahr.

WDR2 berichtet zur Coronalage. Inzidenz bei 450 oder so… „Die Gesundheitsämter in NRW haben die Kontaktverfolgung im Infektionsfall aufgegeben.“ sagt der Moderator ungerührt. Emotionslos setzt er fort: „Es wird darum gebeten, dass jeder Infizierte seine engen Kontakte informiert…“ Ein weiteres Hoch auf den Föderalismus in Deutschland und das selbstbestimmte Handeln der Gesundheitsämter. Wir hatten viele Gespräche im letzten Jahr. Wir haben uns in der Initiative „Wir für Digitalisierung“ engagiert, haben sogar an dem IRIS Interface aktiv mitgewirkt, um einen Standard für die Kontaktdatenverfolgung und die Übertragung der Daten an die Gesundheitsämter zu ermöglichen, die dann mit ihrem System, z.B. SORMAS, andocken können. Millionen Datensätze wurden erfasst und standen den Gesundheitsämtern zum Abruf zur Verfügung, darunter auch alle Daten, die mit ViSITS, unserem eigenen Service, erfasst wurden. Daran kann es nun einfach nicht liegen, dass es nun eingestellt wird. Die Digitalisierung ist anderswo gescheitert.

Ich denke an die 2 Stunden im Krankenhaus zurück. OP-Vorbesprechung. Eidesstattliche Erklärung, dass ich geimpft bin. Auf Papier. Kein Zertifikatscheck. Keine Dokumentation, wie es die aktuelle Schutzverordnung vorschreibt. Weitere Zettel: Medikamente, die ich nehme. Letzte OP. Ich fülle es brav aus. – Nächster Zettel: gleiche Fragen. Liegt sicher am Datenschutz, dass Doc 1 nicht wissen darf, was ich Doc 2 gesagt habe.

Arztgespräch: „… dann wollen wir mal hoffen, dass Ihre OP noch stattfindet. Die Krankhaus-Geschäftsführung kann momentan jederzeit die Reißleine ziehen und planbare OPs wegen der Coronalage absagen…“ – Ich lächle zurück, was wegen meiner Maske niemand sieht. Kommentieren will ich das nicht. Und schon gar nicht die Digitalisierungswüste ansprechen, das wäre nicht angemessen in der Krise. Aber der Bedarf für Hilfe wäre größer denn je.

 

Frohe Weihnachten 

Letzte Woche, Weihnachtsdorf, der Glühwein schmeckt. Ich stehe mit ca. 100 weiteren gut gelaunten Leutchen auf dem Marktplatz. Ich halte Abstand, setze sogar die Maske auf, wenn ich nicht gerade meinen Glühwein am Mund habe. Habe schließlich nächste Woche eine OP. Eine Gruppe mittelalter Herren tuschelt und schaut schließlich laut lachend zu mir rüber. Ich hole noch einen Glühwein. „2G“ prangt mir ein Schild entgegen. Ich halte mein Handy bereit, mit dem Zertifikat in der CWA. Doch die nette Dame in der Bude bedient mich auch so, sogar ohne Maske. Naja. Wie soll sie auch unterscheiden, ob das die CWA ist, die ich ihr zeige, oder ob ich ihr einen Screenshot vom Handy meines Freundes zeige? Oder ich ich bin? Personalausweis kontrollieren? Das auch noch dokumentieren und DSGVO konform abspeichern? – Ich werde weggerempelt… „Nur zurück!“ schreit eine ältere Dame und steht auf meinem Fuß. Wenn es doch nur digitale Lösungen gäbe, die … Moment, die gibt’s doch!

Einmal mehr stelle ich fest, dass in der vierten Welle keine digitalen Lösungen mehr gewünscht sind. Es regiert das Prinzip Hoffnung und das Vertrauen, dass die Leute sich an 2G halten. Und ich kann auch verstehen, dass der Glühweinknecht und der überlastete Narkosearzt keinerlei Lust und Zeit haben, sich mit digitalen Lösungen auseinander zu setzen.

 

Das Bewerben von erklärungsbedürftigen Produkten 

Aber woran liegt es denn? Wir haben – Corona hin oder her – eine klassische Vertriebssituation. Die Bedarfsträger haben einen Bedarf für digitale Lösungen. Niemand kann wollen, dass nicht kontrolliert wird. So hat in den letzten Monaten auch immer wieder die Politik gehandelt. Zur Digitalisierung dieser Prozesse gibt es viele Anbieter. So weit so gut.

Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass der Bedarfsträger nicht derjenige ist, der die Lösung anschließend einsetzen soll. Und nicht will. Wie motiviert man ihn trotzdem? – Ich hole mir den dritten und definitiv letzten Glühwein für heute und rufe einen Kollegen an. – „Es muss einfacher werden, 2G zu überprüfen.“ postuliere ich ins Handy. Wir diskutieren zum 100sten mal UseCases und Usablility Anforderungen an ViSITS. Nach 10 Minuten lege ich mit einem guten Gefühl auf. Doch nach ein paar Minuten kommen wieder Zweifel. Wer ist denn nun der eigentliche Bedarfsträger? Ich erinnere mich an die Gespräche mit dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (kurz MWIDE) … eine richtige Antwort hätte ich glaube ich immer noch nicht, und so schlimm es ist: die dortigen Damen und Herren auch nicht, was natürlich nicht ihre Schuld ist. Meine heutige abendliche Glühweintheorie ist eine andere:

Der Vertrieb von erklärungsbedürftigen Produkten ist des Vertrieblers Tod. Wie soll man – im schlimmsten Fall einem Politiker – erklären, warum eine digitale Lösung für ein nicht begriffenes Problem einen Fortschritt darstellt? Und wenn dann noch Prozesse angefasst werden müssen… ne, lass mal. Was treibt die Entscheider an, Digitalisierung voranzutreiben? Was ich nicht verstehe, macht Angst. Was digital ist, ersetzt vielleicht sogar meine analog arbeitenden Mitarbeiter. Anschließend habe ich weniger Einfluss und bekomme weniger Mittel bewilligt.

Der Politiker ist schon ein armes Wesen, das weiß ich. Ich selbst würde niemals in die Politik gehen. Sitzt der Politiker in seinem „Helikopter“, dann ist er oft zu weit weg vom Digitalisierungsbedarf. Wühlt er sich stattdessen wie ein Micromanager in die Details, sieht er vor lauter Nullen und Einsen den analogen Prozess nicht mehr. Ich merke, wie der Glühwein seine Wirkung voll entfaltet.

Aber ganz so ist es dann doch nicht, sonst hätten wir nicht Kommunen und Behörden als Kunden für ViSITS. Diese haben vor allem nach der dritten Welle unser System implementiert. Wahrscheinlich hatten sie da mal Luft im Tagesgeschäft und einen klaren Auftrag „von Oben“. Oder ein verantwortungsvoller Mitarbeiter hat gesagt: „Wir brauchen das und machen das jetzt!“ Aber auch bei Ihnen sehen wir, wie die steigenden Anforderungen die Komplexität steigen lassen, denn die Rückfragen – auch zu den Vorschriften – steigen momentan extrem an. Und das in einer digitalen Lösung einfach, sicher und transparent, wie es unser Credo ist, abzubilden, ist sehr sehr schwer.

 

Aufgegeben

Regierungsübergang, Verfassungsgerichtsurteile, Lockdown oder nicht. Dazu schlechte Impfquoten und neue Coronavarianten. Volle Fußball-Stadien und 2G/3G/2G+, Vorschriften, die der kleine Mann umsetzen soll und überfordert ist, digitale Lösungen zu verstehen und einzusetzen. Das ist die bittere Situation am Ende des Jahres 2021.

Die genauso bittere Erkenntnis ist, dass in der Pandemie offensichtlich der Punkt erreicht ist, an dem es den Menschen zunehmend egal ist, wie sie sich das Leben einfacher machen können. Mir erscheinen viele Menschen einfach nur noch resignativ. Sie machen, was sie können, um durch diese vierte Welle zu kommen und dabei zu überleben. Selbst die Corona-Soforthilfe muss bis Oktober 2022 von den meisten ja zurückgezahlt werden, das bedeutet also: Überleben heißt finanziell zu überleben. Da steht die Gesundheit oft zurück. Gerade diese Situation hätte die Politik vermeiden müssen. Das hat sie nicht geschafft. Und weitere Ideen hat sie nicht.

Ende März 2022 werden wir uns zusammensetzen und entscheiden, ob wir mit ViSITS weiter gegen Corona kämpfen wollen. Die Lösung wäre dann beinahe 2 Jahre alt. Wahrscheinlich stecken bis dahin 5 Mannjahre Entwicklung in der Lösung. Längst haben wir sie von einer Kontaktdatenerfassungslösung zu einem „Begegnungstool“ entwickelt. Haben – Microservices sei Dank – bereits mehrere andere Produkte davon abgeleitet und können auch einzelne Services problemlos weiterverwenden. Und trotzdem müssen auch wir immer an das finanzielle Überleben denken. Pandemie oder nicht. ViSITS wird also weiterbestehen, so oder so. Denn der Bedarf für die Digitalisierung von Prozessen wird so schnell nicht gedeckt sein.